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Der Fachkräftemangel in der Logopädie wird immer dramatischer!

Wer hat Schuld?

Zunächst wird um etwas Geduld beim Lesen dieses Artikels gebeten. Um in solch komplexes Problem zu entwirren ist nicht mit ein paar Worten getan.

Als sich der der Verband Deutscher Logopäden uns Sprachtherapeutischer Berufe, kurz VDLS in 2017 gründete, betrug das durchschnittliche Einkommen einer Logopädin in NRW 2200 € Brutto. Im Osten der Republik waren die Einkommen mit bis zu 1.500 € Brutto noch deutlich geringer.

Das Durchschnittseinkommen aller Bundesbürger lag damals bei 3.500 € Brutto.

Das derzeitige Einkommen einer Logopädin zu benennen ist recht schwierig, weil die verfügbaren Datenquellen, wie die des Statistischem Bundesamt, keine zeitnahen Angaben machen, und die Basis der Datenerhebung zudem nicht benannt ist. Aus der Summe der Informationen, auch persönlicher Angaben von Logopädinnen, dürfte das Durchschnittseinkommen in 2023 bei ca. 3.200 € Brutto liegen. Das Durchschnittseinkommen aller berufstätigen Deutschen liegt im Schnitt der verfügbaren Publikationen bei rund 4.400 € Brutto (Quelle: StepStone, Statistisches Bundesamt,). Das Einkommen in der Logopädie liegt somit 1.200 € unter dem Bundesdurchschnitt.

Diese deutlich unterdurchschnittliche Vergütung wäre alleine schon ein Grund sich anderen Berufen zuzuwenden, denn außer den echten Niedriglohnberufen verzeichnet fast jeder Erwerbstätige ein besseres Einkommen als eine Logopädin.

Doch darf man bei der Betrachtung der Einkommen nicht (nur) die Angestellten Logopädinnen erwähnen. Denn aufgrund der durchschnittlichen Besetzung einer Logopädischen Praxis mit lediglich 1,3 Fachkräften (Vollzeitäquivalente) inkl. Inhaberin, sind mehr Logopädinnen selbstständig tätig als angestellt. Tatsächlich sind jedoch die allermeisten von schätzungsweise über 40.000 qualifizierten Logopädinnen nicht mehr, oder in anderen Berufen tätig!

Um die Einkommensunterschiede von angestellten und selbstständigen Logopädinnen zu betrachten muss man die Nettoeinkommen aller Berufstätigen heranziehen. Denn die öffentlich verfügbaren Zahlen machen keine Angaben zu Selbstständigen Logopädinnen. Hier können wir jedoch auf Zahlen zurückgreifen, die in vom VDLS geführten Schiedsverfahren mit den Kassen ermittelt wurden.

Selbstständige haben andere und höhere Abgaben und Lasten zu tragen als Angestellte. Untersucht man die diversen Angaben hierzu, dann liegt das durchschnittliche Nettoeinkommen Selbständiger aller Branchen bei nicht mehr als 830 €, und somit erheblich unter dem von Angestellten mit 2.590 € ! Die genannten 830 € dürften somit auch den Median alle Selbstständigen in der Logopädie darstellen. Diese Zahl mag einige erstaunen. Doch viele selbstständige Logopädinnen sind auch Mütter, und können nur ein bestimmte Anzahl von Therapien wöchentlich erbringen. Die Grundkosten einer Praxis sind jedoch unabhängig vom Umsatz vorhanden, sodass nach allen Abgaben und Steuern eben im Median nicht mehr übrig bleibt.

Ein nicht unerheblicher Faktor bei der Berufswahl sind die Kosten der Ausbildung und der Vergütung innerhalb der Ausbildung. Im Bereich der Logopädie gibt es zwar einige Bundesländer, die eine Ausbildungen zur Logopädie bezuschussen. In der Regel müssen jedoch durchschnittlich 500 € monatlich für die Ausbildung an Berufsfachschulen gestemmt werden.

Bis auf die wenigen Schulen, die an Universitäten angegliedert sind werden keine Ausbildungsvergütungen geleistet. Das bedeutet dass in der Ausbildung befindliche Logopädinnen ihre Ausbildung und ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren müssen. Zum Vergleich liegt die durchschnittliche Ausbildungsvergütung aller Berufe bei rund 1.000 € monatlich. Und in so gut wie keinem anderem Beruf muss man die Kosten der Ausbildung selbst tragen.

Die Angaben zu den berufstätigen Logopäden schwankt stark. Jedoch kann man aufgrund der Publikationen der Krankenkassen zu diesem Thema die Anzahl der Praxen auf ca. 9.800 schätzen. Laut den Kassen ist die durchschnittliche Praxis mit 1,3 Fachkräften, inkl. Inhaber besetzt. Somit kann die Zahl der in Vollzeit tätigen Logopädinnen auf 12.700 geschätzt werden. Und vieles weißt darauf hin, die die Zahlen weiter abnehmen.

Wer hat nun schuld daran dass der Beruf der Logopädie von immer wenigeren Menschen ausgeübt wird ?

Zu allererst ist da die Regelung der Politik mit Ihren Gesetzen zu nennen. Normalerweise wird das Einkommen verschiedener Berufsgruppen durch Verhandlungen von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften geregelt. Oder bei Beamten durch Erlass der Regierung. In den genannten Berufszweigen funktioniert das für die Arbeitnehmer sehr erfreulich, denn in diesen Berufen verdient man vergleichsweise sehr gut.

Kommt ein Arbeitgeber den Vorstellungen der Gewerkschaften nicht nach, dann wird z.B. gestreikt, und Teile des öffentlichen Lebens kommen zum Erliegen. Das hält kein Betrieb oder Land lange durch. Die Lohnsteigerungen der letzten Jahre lagen im Bereich öffentlicher Dienst oder Tariflöhne bei durchschnittlich 8-10 % pro Jahr. Im Vergleich betrugen die Anpassungen der Logopädie in den Jahren 2000 – 2023 1-2 %.

Möglich ist diese unmögliche Sachverhalt dadurch geworden, dass der Gesetzgeber den Krankenkassen erlaubt sich seine Verhandlungspartner selbst auszusuchen. Somit wurden die älteren Berufsverbände wie dbs oder dbl stets von den Kassen bestätigt, weil wunder, man sich immer über Vertragsinhalte und Bezahlung immer einig war. Die jüngeren Verbände wie Logo Deutschland und VDLS versucht man jedoch zu ignorieren, teilweise mit Erfolg.

Auch die vom Gesetz vorgesehenen Schiedsverfahren sind im Prinzip eine Farce, weil die Ergebnisse durch Abstimmung zustande kommen. Und wenn die Mehrheit der Berufsverbände mit den Vorschlägen der Kassen einverstanden sind, dann leiden natürlich die Einkommen der Praxen, und somit der Angestellten.

Auch die derzeit gültigen Kassenverträge benachteiligen die Logopäden, und bringen die Krankenkassen in eine weit bessere Position, als es zum Beispiel im Bereich des Bürgerlichen Gesetzbuchs möglich wäre. So kann zum Beispiel eine Kasse 4 Jahr lang bei einer Logopädischen Praxis Leistungen nachfordern, eine Praxis bei der Kasse jedoch nur 9 Monate!

Zugegeben, wir arbeiten in einem eher idealistischem Beruf. Wir helfen gerne anderen, und die Genesung der Patienten ist eine schöne und regelmäßige Belohnung. Doch in Zeiten einer Teuerungsrate von rund 7 % kann keiner den Inhalt seiner Geldbörse, oder die Zahl auf der Gehaltsabrechnung ignorieren. In den Ballungsgebieten kostet eine Wohnung schnell über 1.000 €, das Auto laut ADAC mindestens 500 €, für die restliche Lebenshaltung benennen die Banken mindestens 1.000 €.

Das eingangs genannte Einkommen einer Logopädin mit 3.200 € Brutto entspricht einem Netto von 2.119 €. Um als alleinstehende Person klar zu kommen fehlen also bereits 381 €. Die von der Regierung dringend empfohlene private Altersvorsorge ist nicht möglich, ebenso eine schöne Urlaubsreise. Im Resultat besitzen die meisten in der Stadt lebenden kein Auto. Das verbessert die monatliche Bilanz auf ein Plus von 120 €.

Wer mindestens 30 Jahre über dieses Einkommen verfügt, der würde nach heutigem Stand mit 67 eine Rente von 1.282 € erwarten können. Wenn es dann noch Rente gibt. Und das Argument, dass bis zur Rente die Einkommen und die Rente steigen werden, wird von den Preissteigerungen überholt. Man kann also froh sein, wenn die heutige Kaufkraft von 1.282 € die gleiche ist wie in 30 Jahren. Ganz sicher nicht!

Nach den jüngst in Aussicht gestellten Bürgergeld Anhebungen ist die Überlegung legitim, ob es sich überhaupt lohnt bei einem solchem Verdienst arbeiten zu gehen. Denn neben dem Bürgergeld wird die Wohnung nebst Heizkosten und anderen Dingen vom Staat finanziert. Wer alleine lebt, der käme nur schwer damit zurecht. Aber bei einer 3 oder mehrköpfigen Familie muss man über dem Bundesdurchschnitt verdienen, um mit den Empfängern von Sozialleistungen gleichzuziehen.

Möchte der Staat also, dass es auch weiterhin Logopädinnen gibt, dann muss er sie auch so vergüten, dass Anreize vorhanden sind diesen Beruf zu wählen, und auch dauerhaft auszuüben. So oder ähnlich lautet ein Spruch des Bundessozialgerichts, vor dem unsere Belange in letzter Instanz geregelt werden.

Es gibt aber auch noch andere Verantwortliche als die Politik, die Kassen und die älteren Berufsverbände in diesem Dilemma. Es ist das Miteinander der Angestellten und den Praxeninhabern.

Folgt man den Äußerungen von Angestellten und Praxeninhabern in öffentlichen Foren, dann gewinnt man den Eindruck, dass die Inhaber von Praxen als raffgierige Kapitalisten empfunden werden, und die Angestellten vor allem viel Freizeit fordern, jedoch eine hohe Vergütung dafür erwarten. Da lohnt doch ein Blick auf die eigentlich bekannten Fakten.

Die Logopädischen Praxen werden exakt nach Tätigkeit, d.h nach am Patienten abgegebener Leistung bezahlt. Für kompensatorische Leistungen wie etwa das zur Verfügung stellen von mindestens 30 Stunden Öffnungszeiten, oder der Anschaffung von Therapiematerial und Praxisausstattung gibt es nichts zusätzlich. Mit der Vergütung einer Therapie sind all diese Nebenleistungen ebenfalls abgegolten. In der Industrie und Handwerk, sowie in den Rahmenverträgen sind diese Nebenleistungen mit Vor und Nachbereitung benannt.

Dieser Umstand legt nahe, dass auch die Mitarbeiter einer Praxis nach Leistung vergütet werden, sprich nach geleisteter Therapieeinheit. Leistungsgerecht vergütet zu werden dürfte wohl die gerechteste Art der Entlohnung darstellen.

Tatsächlich findet diese Vergütungsmodell in den meisten Praxen Anwendung, da die Erfassung der Leistung ganz leicht durch erbrachte Therapien am Patient erfolgt.

In einer 38 Stunden / Woche wären rechnerisch 50 Therapien a 45 möglich. Da das Verfassen von Berichten inzwischen vergütet wird, und andere Tätigkeiten wie Lüften oder mit den Patienten Termine vereinbaren nicht ernsthaft zusätzliche Zeit erfordern, führt diese Arbeitsleistung nach den Empfehlungen des VDLS zu einem monatlichem Brutto von nicht weniger als 4.600 € Brutto. Dies entspricht einem Netto von 2.800 € und liegt somit deutlich über dem Durchschnittsverdienst in Deutschland. Und würde zu einer Rente von immerhin 1.843 € gegenüber den o.g. 1282 € bei einem Verdienst von 3.200 Brutto €.

Im Gegensatz zu dem Einkommen von 3.200 € Brutto bleiben bei 4.600 nicht nur Geld für ein Auto und Urlaub übrig, man hätte auch noch die Möglichkeit Rücklagen anzulegen.

Bedauerlicherweise hat sich in unserem Beruf aufgrund der Begriffe Vor – und Nachbereitung die Meinung bei vielen eingenistet, dass man nach jeder Therapie Zeit benötigt, um die vergangene nachzubereiten, und die kommende Therapie vorzubereiten. Vielleicht ist dies am Anfang der praktischen Arbeit und in den ersten Wochen als Logopädin noch notwendig. Und vielleicht behagt diese Arbeitsweise einigen mehr. Kein Problem ! Denn tatsächlich muss man aufgrund des derzeit durchschnittliche Einkommens von 3.200 € davon ausgehen , dass die meisten Angestellten nur etwa 33 Therapien pro Woche erbringen.

Legt man die Einkommensempfehlung des VDLS für Angestellte mit rund 1/3 der Kassenvergütung zugrunde, dann ergäbe das zusammen mit Vergütung von Hausbesuchen und anderen Leistungen die genannten 3.200 € Brutto.

Jedoch ergeben 33 Therapien a 45 Minuten nur 25 Zeitstunden. Rechnet man Pausen nicht zur Arbeitszeit, und das ist die Regel in unserem Lande, dann hätte bei ökonomischer Arbeitsweise bei 33 Therapien a 45 Minuten eine 3 Tage Woche. Wer dann noch etwas Organisationszeit benötigt, der sollte nicht mehr als 3 1/2 Tage pro Woche arbeiten müssen. Ein durchaus attraktives Arbeitsmodell.

Der VDLS empfiehlt sich beim Arbeitsmodell nach den Bedürfnissen des Arbeitnehmers zu richten. Wem viel Freizeit wichtiger ist als das Einkommen, dem sollte man diese ermöglichen. Und wer dagegen ein hohes Einkommen erzielen möchte, dem sollte man dafür Platz machen.

Wie auch immer, Angestellte und Inhaber sind bei dieser Berechnung des Einkommens nach Leistung beide Gewinner. Denn bei der genannten anteiligen Vergütung der Kassensätze für die Mitarbeiter sind diese einerseits gerecht vergütet. Andererseits kann das Einkommen der Inhaber bei dieser Kalkulation nicht in Schieflage geraten. Weil die Praxis nur dann Geld ausgibt, wenn sie selbst welches einnimmt.

Aufgrund der verpflichtender Anteile des Arbeitgebers an den Sozialleistungen , vergütetem Urlaub und Lohnfortzahlung bei Krankheit sowie Feiertagen, werden tatsächlich sogar rund 50 % des Kasseneinkommens an die Arbeitnehmer weitergegeben. Denn das Brutto von 3.200 € wächst schon durch die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung auf 4.160 € (ganz unten links auf der Lohnabrechnung).

Ein optischer Trick unserer Regierung, damit der Arbeitnehmer nicht den Eindruck hat übermäßig vom Staat zur Kasse gebeten zu werden.

Praxeninhaber mögen den Eindruck gewinnen, dass es in diesem Artikel nur um die Einkommen der Angestellten geht. Weit gefehlt, denn die Empfänger der Kassenvergütung sind ja zunächst die Praxen. Die mit diesen Vergütungen nach möglichst ökonomischen und kaufmännischen Grundsätzen die Bezahlung ihrer Mitarbeiter vornehmen. Und wer als selbstständige Logopädin alleine in der Praxis tätig ist, die muss dann eine etwas korrigierte Rechnung zu der vorstehenden aufmachen.

Denn Sie hat die Kosten der Praxis alleine zu erwirtschaften, und muss auch die Sozialabgaben und Steuern selbst für sich stemmen. Alles zusammen sind das schnell 60-70 % vom Gewinn.

Im Fazit appellieren wir an die Praxeninhaber sich zu überlegen, welchen Berufsverband, und damit welche zukünftige Berufspolitik sie unterstützen. Denn überraschenderweise ist es tatsächlich so, dass gegenüber den Kassen und der Politik nur die Inhaber von Praxen mit ihren Berufsverbänden als Verhandlungspartner gesehen werden. Angestellte Logopädinnen werden von den Kassen und der Politik ignoriert.

Die wenigen großen Praxen der Logopädischen Landschaft stehen und standen schon immer gut da. Und sie haben bisher die großen Berufsverbände dominiert. Somit ist nachvollziehbar, warum ausgerechnet die großen und alten Berufsverbände scheinbar auf Seiten der Kassen agieren.

Angestellte haben, was in unserem Lande schon sehr selten ist, absolut keine Lobby und Vertretung gegenüber den Kassen und der Politik. Während der Verband Logo Deutschland Angestellte noch nicht einmal als wahlberechtigtes Vollmitglied akzeptiert, stellen im Verband VDLS die Angestellten die Mehrheit dar. Alleine diese Tatsache hat gereicht um den VDLS von den letzten Kassenverhandlungen auszuschließen. Denn Angestellte zählen bei der Größe eines Verbandes nicht mit.

Genutzt hat diese Politik auch den Selbstständigen nicht, die zumeist in Einzelpraxen tätig sind. Es muss sich daher etwas ändern. Alle Logopädinnen müssen in der Lage sein sich vertreten zu lassen. Dies kann nur über eine grundlegende Änderung der Gesetzeslage hierzu erreicht werden. Und an der haben die älteren Berufsverbände kein Interesse, weil es ihre dominante Position gefährden würde.

Nicht zuletzt richtet sich dieser Artikel auch an die Politik. Immer wieder wird von Politikern betont, dass man etwas gegen den allgemeinen Fachkräftemangel unternehmen wolle, auch in unserem Bereich. Während die Gesundheitsminister Spahn und Laumann auch den Worten Taten folgen ließen, so gibt es unter Minister Lauterbach keinerlei Impulse, und scheinbar kein Interesse an den Problemstellungen der Heilmittelerbringer, zu denen auch die Logopäden gehören.

Die derzeitigen Verträge mit den Kassen können erstmals zum 30.06.2024 gekündigt werden, damit sie anschließend neu verhandelt werden können. Aufgrund bisheriger Erfahrungen wird das Ergebnis dieser Verhandlungen wie gewohnt minimale Einkommenszuwächse zulassen. Diese werden jedoch nicht in der Lage sein die, die Preissteigerungen während und nach Corona aufzuwiegen. Und da auch die kommenden Verträge für 4 Jahre geschlossen werden, sollten sich alle Berufsangehörige gut überlegen, welchem Berufsverband man mit seiner Mitgliedschaft sein Mandat geben möchte.

Manfred Herbst, 1. Vorsitzender VDLS e.V.

Titelfoto: Image by Freepik

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