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2,7 Millionen Kinder benötigen logopädische Therapie, lediglich 70.000 erhalten sie!

Beim Lesen und Schreiben landen Kinder und Erwachsene aus Deutschland im internationalem Vergleich auf Platz 30.

Im Allgemeinen haben wir Deutsche doch eine recht hohe Meinung von uns selbst wenn es um die Kenntnisse unserer Sprache geht. Schließlich sind wir das Land der Dichter und Denker. Nach jüngsten Statistiken reicht das Sprachvermögen, Lesen und Schreiben bei 25 % der Schüler in der Grundschule jedoch nicht aus, um in die nächste Klasse versetzt zu werden. 

Laut der LEO Studie 2018 können sogar 58,4 % der Männer, und 41,7 % der Frauen nicht richtig lesen und schreiben. Diese Zahlen sind auch nicht durch die hohe Migration in Deutschland zu erklären.

Gleichzeitig erreichen uns die jährlich wiederkehrenden Reports der Krankenkassen (GKV-HIS), in denen es um die üblicherweise gestiegenen Kosten im Bereich der Heilmittel geht, zu denen auch die Logopädie gehört. Die Ausgaben für Heilmittel wie Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Podologie und Ernährungstherapie lagen in 2022 bei 11,1 Mrd. Euro. Der Anteil der Logopädie liegt bei rund 10% dieser Summe.

Wenn es um bessere Bezahlung der Logopäden geht, dann werden der Berufsgruppe immer die Kosten und Steigerungen vorgehalten. Die Mitarbeiter der Logopädie beschweren sich jedoch über unzureichende Bezahlung und Gängelung durch die Krankenkassen.

Um sich den Zusammenhang zwischen logopädischer Arbeit und den Fähigkeiten der Deutschen beim Lesen und Schreiben erschließen zu können, lohnt sich ein Blick in die Zahlen der Statistiken, die sich zunächst einmal heftig widersprechen.

Laut den Krankenkassen gibt es mittlerweile nur noch 9.000 zugelassene Logopädie Praxen, immerhin ein Rückgang von 1.000 gegenüber der Zeit vor Corona. Laut den Zahlen des GKV Spitzenverbandes sind die Logopädischen Praxen mit 1,3 Fachkräften (Vollzeitäquivalente) besetzt, inkl. der zugelassenen Person. Der Informationsdienst der BRD geht dagegen von 32.000 Logopäden in Vollzeit aus, was offensichtlich falsch sein muss. Aber dies ist vielleicht ein Grund dafür, warum sich die Politik offensichtlich keine Sorgen um den schon jetzt bekannten Fachkräftemangel macht.

Nimmt man die Anzahl der tatsächlich tätigen Logopäden in Vollzeit, den in 2022 erreichten Umsatz der Berufsgruppe bei den Krankenkasse und den Preis einer 45 minütigen Therapie, dann wurden pro Fachkraft nur rund 1.000 Therapien im Jahr 2022 verabreicht. In Deutschland sind jedoch bei einer Vollzeitstelle 1.600 Zeitstunden jährlich üblich. Dies bedeutet die meisten Logopäden arbeiten in Teilzeit. Der Frauenanteil beträgt über 90 %, darunter auch viele Mütter, die eben nur in Teilzeit tätig sein können.

Rechnet man nun die erbrachten Therapien aller Praxen zusammen und unterstellt dabei, dass jeder Patient einmal pro Woche therapiert wird, dann wurden 255.000 Menschen in Deutschland logopädisch behandelt. Die Auswertung des GKV – HIS Reports 2022 zeigt uns, dass der Anteil der Kinder bis 10 Jahre hierbei nur rund 27,4 % betrug.

Es wurden also nur 69.900 Kinder logopädisch behandelt. Dem stehen laut Statistischem Bundesamt jedoch 10,9 Millionen (2021) Schüler gegenüber, von denen mindestens 25 % ein ernstes Problem beim Lesen und Schreiben aufzeigen. Das sind 2,7 Millionen Kinder, die logopädische Therapie benötigen.

Unglaublich, aber es werden nur rund 2,6 % der Kinder behandelt, die dringend Logopädie benötigen um im späteren Leben keine Nachteile durch mangelhaftes Lese- und Schreibvermögen erleiden zu müssen!

Leider ist selbst Lehrern, und erst recht den verantwortlichen Politikern nicht ansatzweise klar, wie die Fähigkeiten Lesen und Schreiben mit dem Spracherwerb zusammenhängen. Aber selbst absoluten Laien dürfte erklärbar sein, dass Kinder die Laute wie P oder B, G oder K und einige andere nicht sicher zuordnen können, niemals erlernen können, wann man welchen Buchstaben schreibt oder benutzt. Wer nicht weiß ob ein K oder G gesprochen wurde, der weiß erst recht nicht wann er diese Buchstaben schreiben soll. Das Resultat ist eine 5 oder 6 in Deutsch.

Warum liegt die Anzahl der in Deutschland therapierten Kinder derart stark hinter der Notwendigkeit zurück? Dies liegt vor allem an der geringen Anzahl von Logopäden in unserem Lande. Umgerechnet gibt es nur 11.700 Stellen in Vollzeit in rund 9.000 Praxen.

Die zugelassenen Praxen finden so gut wie keine Bewerber, da der Beruf im Vergleich zu ähnlich Qualifizierten schlecht bezahlt ist. Ausbildungswillige müssen die Ausbildungskosten von ca. 700 Euro monatlich in vielen Bundesländern selbst finanzieren. Das fällt schwer, weil zudem auch keine Ausbildungsvergütung gezahlt wird, die in anderen Berufen durchschnittlich 1.000 Euro und mehr beträgt. Beides zusammen macht monatlich rund 1.700 Euro aus, die man im Gegensatz zu anderen Berufen aufbringen muss, möchte man Logopäde werden. Ohne gut situierte und unterstützungswillige Eltern ist die Ausbildung finanziell nicht zu stemmen.

Leider gilt Sprache in Deutschland als Selbstverständlichkeit. Insbesondere bei den Ärzten, die als schulische Überflieger sicher nie Probleme mit dem Spracherwerb, und somit auch nicht beim Lesen und Schreiben erlebten. Man kann nicht wissen ob es an diesem Umstand liegt, dass Ärzte oft sehr zurückhaltend sind bei der Verordnung von Logopädie.

Weiter gilt für logopädische Behandlung das Praxisgebot. Das bedeutet um eine Behandlung zu erhalten muss man sich in eine Logopädische Praxis begeben. Ein Logopäde darf nur aufgrund eines medizinischen Grundes und nach Verordnung durch den Arzt den Patienten zu Hause behandeln. Da unsere Kindern mittlerweile bis 16 Uhr im Kindergarten oder der Schule sind, und die Therapieplätze ab dieser Zeit rar, ergibt sich ein weiteres Problem. Wir fordern daher den bedingungslosen Zugang zu Kindergärten und Schulen, um Kinder in ihrem Spracherwerb zu begleiten. So wie in anderen Ländern längst üblich.

Im Fazit ist es an der Zeit, dass man der Politik, den Kassen und Ärzten klar macht welchen Stellenwert Logopädie für den Spracherwerb, und somit für den späteren Schulerfolg und Lebensweg hat. Wir müssen anfangen nicht nur in erneuerbare Energien zu investieren, sondern in die Fähigkeiten unserer Kinder und somit unserer gemeinsamen Zukunft.

Manfred Herbst
1. Vorsitzender VDLS e.V.

Foto: Image by pressfoto on Freepik

 

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